Die Reise unserer Ahnen auf der Donau

Kurzer geschichtlicher Abriss (oder der Weg in die Katastrophe)

Nach dem Tode (1733) von August dem Starken, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, versuchte der Franzosenkönig Ludwig XV. mit allen Mitteln, seinen Schwiegervater Stanislaus Leszczyński in Polen wieder an die Macht zu bringen. Dieser war durch den Schwedenkönig Karl XII. als König der Polen gestürzt und vertrieben worden.  Leszczyński kehrte 1733 aus dem französischen Exil nach Polen zurück und ließ sich am 11. September 1733 mit einer deutlichen Mehrheit der Wahlmänner ein zweites Mal zum König und Großfürsten wählen. Französische Bestechungsgelder an die Wahlmänner sollen eine Rolle dabei gespielt haben.  Russland und Österreich konnten diese Wahl nicht akzeptieren. Eine Koalition aus Österreich, Russland, Kursachsen sowie eines Teil des polnischen Adels unterstützte daher die Wahl des Sohnes von August des Starken zum polnischen König. Als Russland dann am 05.10.1733 Friedrich August zum König von Polen proklamierte, floh Leszczyński in den Machtbereich seines Schwiegersohnes, des Franzosenkönigs. Frankreich und Spanien erklärten dem Deutschen Kaiser (Karl VI.) und Russland den Krieg und marschierten in die habsburgischen Länder im Westen und in Italien ein. Der polnische Erbfolgekrieg (1733-1738) hatte seinen Anfang gefunden. Die Mächte einigten sich in einem Präliminarfrieden (Waffenstillstand) 1735 darauf, den Kurfürsten von Sachsen als König von Polen zu belassen, Leszczyński wurde dafür unter anderem auf Lebzeiten (allerdings unter französischer Verwaltung) mit dem Herzogtum Lothringen entschädigt. Das Land sollte nach dem Tode von Leszczyński an Frankreich fallen. Herzog Franz I. Stephan von Lothringen, Gemahl von Maria Theresia, erhielt die Anwartschaft auf die Toskana, da das Aussterben der Medici zu diesem Zeitpunkt bereits abzusehen war. Im Frieden von Wien 1738 beendeten Österreich und Frankreich offiziell den polnischen Thronfolgerkrieg.

Die Verelendung Lothringens

Die Verelendung Lothringens unter Leszczyński war enorm. Das Volk hungerte und der Siebenjährige Krieg hatte das Land stark gebeutelt. Doch es kam noch schlimmer. Nach dem Tode von Leszczyński (1766) fiel das Herzogtum Lothringen vertragsgemäß an Frankreich. Die französische Regierung ging nicht zimperlich mit den neuen Untertanen um, die wurden unterdrückt, geknechtet und durch hohe Steuerlasten ausgebeutet. Ausgesandte und für die Ansiedlung im Banat werbende Emissäre fanden bei den Lothringern daher offene Ohren. Die Aussicht war verlockend, unter Maria Theresia eine neue Heimat im fruchtbaren Ungarn zu finden. Zudem war die Landesmutter die Gemahlin des früheren, durchaus beliebten lothringischen Herzogs. Tausende Untertanen ergriffen also bei Nacht und Nebel die Flucht. Aus allen Teilen Lothringens waren Menschen unterwegs. Die Landflucht muss groß gewesen sein, denn die französische Regierung erließ alsbald scharfe Auswanderungsverbote und Emigrationsbestimmungen. Wochenlang waren sie unterwegs, von Lothringen an die Donau. Mit Pferdewagen, Ochsenkarren oder zu Fuß, um rechtzeitig während der schiffbaren Zeit am großen Fluss anzukommen. Hier zu sein verhieß Abreise in die Freiheit. Doch andere waren schon vor ihnen angekommen und warteten auch auf eine Abreisemöglichkeit. So kampierten sie gemeinsam bei Wind und Wetter im Freien an den Ufern der Donau, in den Vorstädten der Hauptsammelorte. Die hygienischen Verhältnisse müssen unvorstellbar gewesen sein, die Ausbreitung von Krankheiten riesengroß. Aber all dies haben sie in Kauf genommen, um der Not und Knechtschaft in Lothringen zu entfliehen. Werber hatten ihnen ein sorgenfreies Leben versprochen, lange Jahre frei von Steuern, Haus und Acker, ein paradiesisches Leben, dort unten in Ungarn. So machten sie sich auf den Weg, unsere Ahnen! Die Donau versprach dieses neue Leben.

Doch von wo sollte man abfahren? Welche Donaustadt lag näher am Wanderweg, war mit der Postkutsche, dem eigenen Pferdewagen oder dem Ochsenkarren am besten und schnellsten zu erreichen? Welches war die sicherste Route. Wegelagerer waren überall, Überfälle an der Tagesordnung. Durch Briefe von bereits früher Ausgewanderten hatte man vermutlich von Günzburg (gehörte zu Schwäbisch Lauingen), Dillingen, Donauwörth, Marxheim und Regensburg gehört. Günzburg und Regensburg waren sicherlich als Hauptsammelorte der Auswanderer in das Banat bestens bekannt geworden.

Regensburg war als Sammelort beliebt. Es lag geographisch günstig. Außerdem wurden dort im Beisein der österreichischen Kommissare die Kolonistenpässe zur Weiterreise auf der Donau ausgegeben. Ohne diese Papiere konnte bei Engelhartzell niemand in die kaiserlichen Staaten einwandern. Pässe, ja das war`s was man wollte und möglichst schnell ausreisen. Doch in Regensburg, am Unteren Wöhrd, der Abfahrtstelle an der Hölzernen Brücke, ging es hektisch zu. Dort lief viel Volk aus ganz Süd- und Westdeutschland zusammen, aus Hessen, Franken, Na sau, Westfalen, aus der Rheinpfalz, aus Luxemburg, Elsass und Lotringen. Zehntausende von Auswanderern wurden von hier donauabwärts gebracht.

Günzburg, das vorderösterreichische Städtchen in Schwäbisch Österreich, war Sitz eines Oberamts und Verwaltungsmittelpunkt der Markgrafschaft Burgau. Das Oberamt wurde 1770 ermächtigt, den Kolonisten einen ersten Abschlag auf den ihnen versprochenen Zuschuss zu den Reisekosten zu zahlen. Geld? Ja das war`s doch was man brauchte! Aber auch hier ging es hektisch zu. Wie hektisch, das zeigen die Kirchenbucheinträge aus den Jahren 1770 bis 1773.

Marxheim, das Dorf am Zusammenfluss von Lech und Donau gelegen, war ebenfalls Sammelpunkt für Auswanderer. Von hier transportierten Fischer Zehntausende von Auswanderern die Donau stromabwärts. „Zu Marxheim haben wir acht ganze Tage warten müssen, wegen der unbeschreiblichen Menge Leute, die dort liegen. Wie eine kleine Armee, obgleich täglich davon abgegangen, so hat man es doch wenig gespürt, als wenn ein Tropfen Wasser aus dem Fluss genommen wird“, so die Schilderung eines Reisenden.

Donauwörth war ebenfalls als Sammelstelle bekannt. Auf die Rolle Donauwörths als Durchgangsstation oder Einschiffungsort für ungarische Kolonisten verweisen entsprechende Einträge in den örtlichen Matrikeln. Die Donauwörther Schiffer erhielten am 29.Juli 1750 von der bayrischen Regierung eine „Ordnung“ verliehen, wonach ihre Zunft verpflichtet war, alle 14 Tage, am ersten und 15. des Monats, (solange die Donau befahrbar war), ein entsprechend großes Ordinarischiff nach Wien zu senden. Das Schiff durfte nur von jemandem geführt werden, der das Meisterrecht erlangt hatte. An Gebühren zahlte ein Reisender ohne Gepäck für die Meile in der Regel 1 Kreuzer, andernfalls war der Fahrpreis mit dem Schiffsmeister auszuhandeln, der die Reisenden nicht übervorteilen durfte. Für Güter waren, wenn die Schiffsfracht nicht mehr als 50 Zentner betrug, bis Wien 1 Florin 15 Kreuzer zu entrichten.

Hektik und lange Wartezeiten überall. Es mangelte an Schiffen. Hungernde und frierende Auswanderer an den Ufern der Donau. Lebensmittel wurden knapp, es kam zu einem dramatischen Anstieg der Lebensmittel- und Getreidepreise in den Sammelorten.  In dieser Situation gab es nur ein Mittel: Die Transportmöglichkeiten mussten erweitert werden. Überall entlang der oberen Donau entstanden eilig neue Schiffsbauplätze für Zillen, die je nach Größe 20, 80 oder aber auch 150 Passagiere befördern konnten. Die „Kelheimer“ beförderten später sogar bis zu 400 Passagieren und mehr.

Um überhaupt von den Sammelorten donauabwärts zu kommen, begnügten sich viele Auswanderer auch offener Lastkähne, Flöße und Fischerboote. Schiffer, Flößer und Fischer hatten schnell erkannt, wo Geld zu machen war. Doch die Unkenntnisse vieler Boots- und Floßführer über den gewaltigen Strom führten zu zahlreichen Schiffsunglücken. Auch der Genuss von verschmutztem Flusswasser, die schlechten hygienischer Verhältnisse und die drangvolle Enge der meist überfüllten Boote verursachten zahlreiche Krankheiten und forderten zahllose Menschenleben. Sich privat mit anderen Auswanderern eine Zille zu mieten, war nur wenigen finanziell möglich. Hatte man doch schon Pferd, Wagen oder Ochsen sowie einen Teil des Hausrats verkaufen müssen um am Sammelort die Wartezeit zu überleben. Konnte man dann endlich „einschiffen“ sah man eine Zille, die in der Mitte eine große hölzerne Hütte trug, die in zwei Kammern geteilt war. Hier lag, saß und stand alles über- und durcheinander. Viele Kolonisten nahmen außer Haushaltsgeräte Kleider und Haustiere auch Ackergeräte, Sensen, Sägen und Äxte mit. Passagiere, die sich auf der Reise die Übernachtungen und die Verpflegung in Wirtshäusern nicht leisten konnten, nahmen ihre eigenen Strohmatratzen, Kessel und Pfannen sowie Proviant mit. Da in der Nacht nicht gefahren wurde, konnten sie sich abends an den Ufern der Donau ihr Essen zubereiten.  

Wer das Glück hatte, auf einem „Ordinarischiff“ zu reisen der war sicherer, denn es wurde von einem Schiffsmeister geführt, sozusagen von einem Kapitän. Ziel aller Ordinarischiffe war Wien. Von Regensburg gingen seit dem 24. März 1696 regelmäßig Schiffe in die Residenzstadt ab.

1712 folgten Ulm, 1750 Donauwörth und dann die Städte Lauingen, Stadtamhof und Linz. Der Andrang der Kolonisten war oft so groß, dass wöchentlich mehrere Extraschiffe nach Wien ablegen mussten. Die Fahrt bis Wien dauerte bei gutem Wetter meist 6-9 Tage, bei Wind und Nebel konnten daraus allerdings auch 12 bis 14 Tage werden. Beliebt waren bei den Auswanderer die Monate Mai und Juni, da es dann weder zu heiß noch zu kalt für die Reise war, für die man einen Kreuzer pro Meile und Kopf bezahlte. Die komplette Fahrt von Regensburg nach Wien kostete 4 Gulden pro Kopf. Viel Geld für die damalige Zeit und für eine Flussreise die nicht ohne erhebliche Gefahren für Leib und Leben war. Aufgrund der leichten Bauart der Zillen waren die Passagiere vor allem auf der oberen Donau stets in Lebensgefahr. Klippen, Stromschnellen und Sandbänke behinderten die Fahrt. Bei Hochwasser waren die Klippen nicht zu sehen. Manch eine Zille zerschellte oder kenterte in den Stromschnellen und die Reisenden ertranken in den Fluten der Donau. Die Sterbematrikeln der Gemeinden rechts und links der Donau sprechen hier eine deutliche Sprache.

Mit den Zillen ging es über Straubing nach Passau. In Passau lagen die Schiffe einen Tag, weil die Auswanderer, die in Günzburg noch keinen Reisezuschuß erhalten hatten, hier von der österreichischen Verwaltung den ersten Teil des Zuschusses erhielten: 3 Gulden pro Kopf für die Fahrt bis Wien, weitere 3 Gulden pro Kopf gab es dann in Wien für die Weiterreise nach Ungarn.

In Engelhartzell an der Bayrisch/Österreichischen Grenze lagen die Schiffe wiederum einen Tag wegen der Zollabfertigung. Die österreichischen Mautner erhoben Gebühren und die Auswanderer wurden einer strengen Visitation unterzogen. Lutherische Bibeln wurden beschlagnahmt und verbrannt. Weiter ging die Reise über Linz. Von dort waren es dann nur noch 3 Tage bis nach Wien. Vorher musste noch die gefährlichste Strecke der Donaufahrt, die Düppsteiner Klippen passiert werden (2 Tagesreisen hinter Engelhartzell).  Ein großer Felsen inmitten der Donau verursachte dort den von Passagieren und Schiffsleuten gleichermaßen gefürchteten Wirbel. Die langen Ruderbäume wurden eingezogen und die Fahrgäste von den Schiffsleuten gebeten, ein jeder in seiner Sprache ein Vaterunser zu beten. Dann wurde das Floß/Boot den Fluten überlassen, da es nicht mehr zu steuern war.

Von Lothar Renard